Lesesaal
Enrico Pietracci
Ziel
und Philosophie des L’Atelier
Ziel
des L’Atelier ist es, die Handlungen des Posierens und Zeichnens
zu neuen und unbegrenzten Ausdrucksformen zu führen, hinausgehend
über das klassische Studium der Figur mit seinen wenigen, repetitiven
Posen.
Die Sitzung ist ein einzigartiger, einmaliger Akt, mit dem Ziel
verschiedene, komplementäre, kreative Aktionen zusammenzuführen.
Die klassische Idee des Posierens und Reproduzierens wird durch
eine neue, schöpferische Form des Schauspiels ersetzt, bei
der der weibliche Körper Protagonist ist.
So wie der Zeichner angeregt wird, sich von den Schematas zu befreien,
die seine Ausdrucksmöglichkeiten einschränken bei dem
vergeblichen Versuch, eine lebendige Kreatur treu, ihrer Erscheinung
entsprechend wiederzugeben, drückt sich die Protagonistin mit
ihrem Körper, bedingungslos und ungehemmt, in vielfältigen
Formen der Darstellung aus.
Ist der Zeichner frei von formalen Grundsätzen, so kann er
versuchen, sich grafisch wie ein Tanzvirtuose auszudrücken,
indem er improvisierend unzählige kreative Momente schafft.
Der Künstler benutzt das Blatt Papier wie die Bretter einer
Bühne, auf der alles möglich ist, sorglos, ohne Angst
und Scham und ohne hemmende Furcht vor dem Ergebnis.
Der Akt des Zeichnens ist flüssig und ununterbrochen. Der Zeichner
folgt mit all seinen Sinnen der ebenso flüssigen Darbietung
der Protagonistin. Die Hand überträgt auf das Blatt Papier
eine einmalige Emotion welche aus einem umfassendem Ereignis entsteht.
Enrico
Pietracci
Enrico
Pietracci über das Aktzeichnen
Nach
unterschiedlichsten Erfahrungen im kreativen Bereich, angefangen
mit dem Bühnenbild, über die Grafik, Illustration und
den Zeichentrickfilm, widme ich mich seit 1998 auch der freien Kunst.
Diese ist in den letzten Jahren geprägt durch eine persönliche
und obsessive Suche nach (dem Archetyp) dem ewig weiblichen.
Der weibliche Körper (selbst Symbol der Kreativität) vereint
in sich die Sensualität, die Kraft und die gesamte Dramatik
der Natur.
Meine Arbeit basiert auf einer unaufhörlichen Suche, indem
ich einer ununterbrochenen Linie folge, welche sich hin einwickelt
zu Millionen dynamischer und harmonischer Windungen, gelegentlich
dissonant, leise und nervös, wie eine Musik ohne Anfang und
Ende.
Für mich ist Aktzeichnen wie ein lebenswichtiger Moment, welchen
ich vollständig aufnehme; wie ein Ereignis in dynamischer Kommunikation
mit dem Subjekt, ein ständiger Wechsel zwischen dem sich zeigen
und beobachten, zusammengeführt in der Bewegung der Hand, welche
aufeinander abgestimmte Zeichen auf das Blatt setzt, Zeichen, welche
einen Teil einer Emotion ausdrücken und ein vergängliches
Ereignis als zeitlosen Augenblick festhalten.
Wie ein Musiker, welcher seine wirkliche Zufriedenheit nur in dem
täglichen Spiel seines Instrumentes findet, ist das Aktzeichnen
auch für mich ein wesentliches und unverzichtbares Element
in meinem Leben geworden.
So ist die Freude darüber, mit anderen diese Leidenschaft zu
teilen die Krönung des ganzen.
Für mich besteht eine „ideale Aktzeichensitzung“
nicht nur im einfachen „Studium der Figur“, sondern
in einem „Stiltheater“; einem Theater, indem sich der
Schauspieler (das Modell) und der aktive Zuschauer (Zeichner) zu
einer Einheit zu Austausch und dynamischer Kommunikation zusammenschließen.
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....................welche
Zeichnung nicht guten Ursprungs sein kann, hat sie nicht ständig
die Auseinandersetzung mit der Wiedergabe natürlicher
Sachen erlebt.............
......................aber vor allem , das beste sind die
entblößten männlichen und weiblichen Menschen,
von denen man sich für den ständigen Gebrauch die
Muskeln der Brust, die der Rücken, der Beine, der Arme,
der Knie und die unterliegenden Knochen gemerkt hat .....................................
(Giorgio Vasari, florentiner Maler und Schriftsteller der
Renaissance)
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......................So
verraten die Formen und Haltungen eines menschlichen Wesens
notwendigerweise die Regungen seiner Seele. Der Körper
drückt immer den Geist aus, dessen Hülle er ist.
Und für den, der sehen kann, ist die Nacktheit von tiefster
Bedeutung.................
(Auguste
Rodin, französischer Bildhauer und Zeichner) |
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..................Das
Mädchen kam, ich erkannte ihr Gesicht, ihre Seele, die
Hände einer Arbeiterin; ich liebte alles an ihr. Ich
verspürte den Zwang sie darzustellen, weil sie sich so
zeigte und weil sie mir so nah war................................
(Egon Schiele, Maler 1890 – 1918)
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............Dann
ging ich nach München und studierte dort, wie in Dresden,
zum Schein nach außen Architektur, da meine Eltern gegen
die Malerei waren. Hier machte ich, mit der Hilfe eines Freundes,
unzählige Zeichnungen zur Anatomie und viele Aktstudien,
sowohl in meinem Atelier, wie an der Abendschule.
(Ernst-Ludwig Kirchner)
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..................Ich
kriegte sie ja meist erst, wenn sie müde waren, die Modelle.
Ich konnte nicht so früh da sein in der Aktstunde. Na
– da zeichnete ich sie eben im Sitzen oder Liegen. Das
übt ja auch............................
(Heinrich Zille)
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....zeichnen
ist besitzen...........
.. ein Akt des Wissens und des Beherrschens, tiefer und konkreter
als der Koitus, den nur der Traum oder der Tod geben können.
(Amedeo Modigliani)
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.................“Meine
Modelle, menschliche Figuren, sind niemals Statisten in einem
Raum. Sie bilden das grundlegende Thema meiner Arbeit. Ich
bin völlig von dem Modell abhängig, welches ich
frei beobachte; dann entscheide ich die Pose, welche am besten
zu seiner natürlichen Haltung passt. Wenn ich ein neues
Modell auswähle, ist es seine Ruhepose, die mich am meisten
berührt und mich zum Sklaven macht.“........................................
(Henri Matisse)
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....................................“
Aber warum muss ich, um eine liegende Frau zu zeichnen, diese
von einem einzigen fixen Standpunkt betrachten, wogegen ich
lieber um sie herumgehen könnte und wollte, sie von verschiedenen
Standpunkten aus betrachten möchte, sie gleichzeitig
in unterschiedlichsten Bildausschnitten zeichnen würde,
und mir wünschte, mit all meinen Sinnen an ihrer Gegenwart
teilzuhaben, sie mit den Händen zu berühren, ihrer
Worte
zu lauschen, um somit ihre Empfindungen verstehen und ihre
Gefühle nacherleben zu können.“
(Pablo Picasso)
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Theater
des weiblichen
Body Akt-ing
eine
neue Betrachtungsweise der traditionellen kreativen Beziehung
Künstler - Modell, gedacht als Gesamtkunstwerk, bei dem
sich in einem einzigen kreativen Ereignis, Körperausdruck,
Kunst und Musik zu einer Einheit verbinden.
Protagonistin
ist eine Tänzerin, die einen Raum einnimmt und in diesem
agiert, indem sie einen langsamen abstrakten Tanz durchführt,
wobei sie mit den sie umgebenden Objekten in Beziehung tritt.
Sie bewegt sich in einem Rythmus von stop and go, der durch
unterschiedlich lange Pausen unterbrochen wird. Im Mittelpunkt
steht ihr Körper, der sich in nicht verbaler Kommunikation
mit dem Musiker (Musik) und dem Künstler ausdrückt.
So entsteht eine Vielzahl gleichzeitiger Handlungen, die figurative
Kunst wird zum Schauspiel; eine einzigartige, einmalige Aktion
hinterlässt eine grafische Spur, ein dauerhaft festgehaltenes
sichtbares Zeugnis der Energie des kreativen Aktes.
Der
Künstler folgt der Aktion der Tänzerin mit all seinen
Sinnen und übersetzt die entstehenden Emotionen in einen
flüssigen kontinuierlichen Strich oder zeichnerische
Schnappschüsse.
Dadurch
wird in besonderer Weise der Entstehungsprozess als das authentische
künstlerische Ereignis herausgestellt. Die Aktion ist
fliesend und nicht von vorne herein festgelegt (Grundthema
jedoch möglich). So bleibt Raum für Intuition und
Improvisation.
Die
nicht vorhandene Linearität in der Handlung entspricht
der träumerischen Dimension, bei der in den Windungen
einer scheinbaren Zusammenhanglosigkeit die unterschiedlichsten
Bedeutungen und Assoziationen zum Ausdruck gebracht werden.
Der
Impuls zu einer solchen Handlung entsteht durch das Verlangen
nach einer verloren gegangenen “Einheit” .
Die
Teilnehmer an dem Ereignis sind “Inseln kreativer Energie”,
die sich im Verlauf der Handlung zu einem Kontinuum dynamischer
Interaktionen verbinden.
Das
Individuum findet seine Symbiose in dem Netz der unbewussten
Beziehungen, es vereint sich mit diesem, bleibt jedoch gleichzeitig
durch seine persönliche Interpretation Individuum.
Das
Modell, das auch, und ganz besonders selbst “Schöpferin”
ist, ist MIttelpunkt und Katalysator. Die “instinktive”
Natur des weiblichen Geistes ist das Bindeglied zu der
Welt des Unbewussten und saugt so das Verlangen des Künstlers
auf, in den eigenen Wahrnehmungen über die alltägliche
Dimension hinaus zu gehen.
Die
Tänzerin ist Symbol der Synthese aus der Welt der Sinnlichkeit
und der intuitiven Weisheit; sie ist die körperliche
Gegenwart und gleichzeitige ätherische “Anima”,
die den Künstler durch die Mäander seiner Psyche
führt.
Der
urweibliche spielerische Aspekt wird in völliger Freiheit
gelebt, ohne falsches Schamgefühl oder kulturelle Vorurteile.
Das Spiel dient einem offenen Dialog mit dem “ewig Weiblichen”
und fordert das Recht auf seine Existenz, auch einfach nur
als rein ästhetisches Konzept.
Die
Aktion findet einmal pro Woche unter dem Titel “Body
Akt-ing” als eine Art Workshop im Atelier statt. Sie
ist auch als Performance in Zusammenhang mit einer Ausstellung
von Arbeiten des Künstlers in einer Galerie oder einem
öffentlichen Raum gedacht und in dieser Form bereits
erprobt.
Enrico
Pietracci
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7.
Juni 08
Performance
mit Simone und Enrico
Die
Kaiserin (Stimmungen)
Nixe
aus dem Schlamm. Schönes Mädchen. Schöne Frau.
Eigensinn. Eigenreich. Schlamm am Leib. Große Frau. Hat Spuren
am Leib. Weich. Hart. Stolz. Ein stolzes Wesen verharrt, rührt
mein Herz. Begegnung. Eigenwillig. Trotzig. Funkelnd. Junge, reife
Frau in einem. Füße schmutzig. Füße. Boden.
Schlamm.
Schöner
Leib, dahin gegossen. Mund rot. Stolze, ängstliche Kaiserin.
„Ihr
könnt mich alle mal!“
Kecke
Brust. Rosa Wangen. Hitze. Eine Wiese aus Schilf auf deinem Leib. Sie
umrankt Deine Brüste. Eine Stute. Bläst aus, das Feuer.
Verlorenheit.
Was
war das? In Deinem Inneren?
„Es
geht keinen was an! Mich trifft keiner mehr so tief. Keiner! Was
willst du kleines Würstchen? Mein Arsch lässt Dir Luft da.
Atme sie ein, mehr bekommst du nicht. Lieber hänge ich, für
mich, allein. Lass mich! Geh! Mich bekommst du nicht, nie wieder! Es
war und ist nicht mehr. Vorbei. Vergangenheit. Tot. Tot. Tot. Ich bin
gestorben.
Betrachte
mich! Sieh mich an! Begehre mich! Stirb! Du wirst nichts von mir
bewahren können.
Ich
trage meinen Schmerz mit Würde. Mit Würde, Mut und Stolz.
Ich bin eine zarte Kaiserin.“
Am
Boden. Ein Loch tut sich auf. Da, noch eins, und noch eins. Wer
gehört da hinein?
„Ich
gebe dir meinen Fuß, meinen schmutzigen Fuß. Nimm ihn!
Dann hast du wenigstens etwas. Der Rest ist mein. Ich warte, verdammt
noch mal, ich warte auf dich! Nimm noch mehr von mir. Nein! Untersteh
dich. Ich zeige mich dir, aufs Neue. Ich bin bereit mich dir
hinzugeben.
Aber,
du musst mich angeln! Und ich bin ein wendiger Fisch, ein
Kaiserfisch. Die sind nicht leicht zu angeln.“
Zarter
Rücken.
„Trage
mich, nur kurz, ganz kurz, dann halte ich mich wieder selbst. Nur für
einen Moment. Ich kann mich selbst nicht mehr tragen. Tränen,
die wirst du niemals zu sehen bekommen. Ich bin eine stolze Kaiserin.
Bitte, trau dich doch. Bitte, ich sehne mich so sehr nach dir. Auch,
wenn ich weiß, dass du mich aufreißen wirst. Ich sehne
mich so sehr nach dir. Ich offenbare mich für dich. Lasse dich
in mich ein, gewaltig. Ich gebe mich dir, mit Schmerz. Du durchzuckst
mich. Ich halte Stand. Ich halte Stolz. Ich bin die Kaiserin.
Ich
stürze. Ich zucke. Ich stürze. Ich bin am Boden.
Ich
richte mich wieder auf, bleibe auf der Erde. Jetzt hast du mich.
Nein! Ich will nicht! Ich wühle mich heraus. Du bist mir auf den
Versen. Da, friss doch endlich. Greif dir endlich das, was du immer
haben wolltest. Ich halte es bereit, für dich, du Schwein,
Geliebter, ich halte es bereit, mach endlich!
Ich
tanze für dich, deinen Tanz. Meinen Tanz, ohne dich. Willst du
mitkommen? Dann mach endlich! Ich mache, ich tanze. Spring auf.“
Verharren.
„Na,
hast du Angst? Vor mir, du kleines Würstchen.“
Greift
die Hand.
„Lass
mich! Lass mich! Ach, mir ist es egal. Ich biege mich, ich labe mich
an mir, an meinem Leben, meinem Boden, meiner Erde. Für mich.
Ich raste. Genieße. Es riecht so gut. Das bin ich. Ich dufte,
wie eine Blume. Eine Kaiserblume.
Ich
bin die spielende Kaiserin. Na, komm. Ich greife die Waffe. Jetzt
bist du ausgeliefert. Ich harre deiner, mit oder ohne Waffe. Das ist
mir egal.“
Wiese
klebt.
„Da
weht mein Stolz dahin. Ich bekomme Luft. Luft. Luft. Wind.“
Du
schöne Frau! Schneewittchen. Küssen möchte ich dich.
Du bist es leid. Halten möchte ich dich. Deine Tränen
kosten. Deine verschwitzten Wangen berühren. Salzig. Du bist
nicht allein. Liebe Kaiserin. Stolze, traurige Kaiserin.
Gerne
würde ich etwas für dich tun.
„Allein.“
So
schön stehst du da. Alles ist verloren. Aber du hast doch dich.
Und mich. Geh mir entgegen! Schöne Kaiserin.
Du
schöne, traurige Kaiserin. Geh nicht fort! Geh nicht fort!
Mein
Herz rührt auf.
Judith
Evers
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